Susann Meyer (36) ist Pädagogin aus Leidenschaft und auch im Verband für Bildung und Erziehung (VBE) aktiv. An der „Regionalen Schule Heinrich Schütz“ in Rostock unterrichtet sie von Klasse 5 bis 10 in den Fächern Deutsch, Arbeit-Wirtschaft-Technik und Informatik. Ein Job, der in den vergangenen Monaten mehr als das Übliche forderte. Ein Rückblick auf turbulente Zeiten.
BBBANK-INFO: Frau Meyer, die Ferien sind vorbei, das neue Schuljahr hat gerade begonnen, doch zuvor war plötzlich alles anders. Wie haben Sie den Lockdown Ihrer Schule bis zum 26. April erlebt?
SUSANN MEYER: Es war schon sehr turbulent, muss ich sagen. Alles begann mit Hektik – bei den Kolleginnen und Kollegen, der Schulverwaltung, aber auch zu Hause mit meinen vier Kindern. Und diese Hektik ließ aus meiner Sicht auch gar nicht mehr nach. Wir haben zum Glück schon vor der Schließung ein Notfallteam gegründet, dem ich auch angehöre, über das dann schneller Dinge bewegt werden konnten. Ansonsten war die Zeit ein echter Spagat zwischen Homeoffice, Hausaufgaben, Kindern, Essenkochen, Webinaren, Telefonkonferenzen und anderem.
Konnten Sie sich auf die Schließung in irgendeiner Art vorbereiten?
Nein, nicht wirklich, der Lockdown hat uns kalt erwischt. An dem Freitag Mitte März, als die Schule schloss, saßen wir im Notfallteam zusammen und haben beraten, wie wir die Schülerinnen und Schüler weiter versorgen können. Wir besitzen keine Lernplattform, kein Lernmanagementsystem. Ich habe dann das Wochenende genutzt und auf unserer Homepage, die ich ohnehin betreue, unsere eigene kleine Welt eines Lernmanagementsystems programmiert.

Wie sah Ihr Lehrerinnenalltag während des Lockdowns aus? Wie haben Sie Kontakt zu Ihren Schülern und Kollegen gehalten?
Wir haben versucht, untereinander mit den Kolleginnen und Kollegen zu kommunizieren, was sich anfangs schwieriger gestaltete. Wir durften uns ja nicht sehen, nur das Notfallteam hat sich wöchentlich weiter in der Schule getroffen. Die vorgesehenen E‑Mail-Adressen wurden von einigen Kolleginnen und Kollegen erst mal nicht genutzt. Später gab es dann eine WhatsApp-Gruppe und die Kommunikation hat dann ganz gut geklappt. Es ist uns an unserer Schule untersagt, mit den Schülerinnen und Schülern über Messenger-Dienste zu korrespondieren. Hier habe ich mir also die Klassenliste genommen und die jede Woche einmal abtelefoniert. In diesen Gesprächen konnte ich meinen Schülerinnen und Schülern mitteilen, dass sie ihre Hausaufgaben zum Distanzlernen auf der Homepage der Schule finden. Die Schüler antworteten dann per E‑Mail und so konnten wir über die Homepage eine Art Kommunikationssystem aufbauen. Letztlich hatten jede Kollegin und jeder Kollege die Möglichkeit, mit den Eltern zu telefonieren oder mit den Schülerinnen und Schülern zu schreiben. Ich hatte jede Woche Kontakt zu meinen Schülerinnen und Schülern und habe zusätzlich noch ein regelmäßiges Webinar angeboten. Über den Schulstoff habe ich Wochenpläne erstellt und die Aufgaben konnten meine Schülerinnen und Schüler dann im Nachgang im Webinar mit mir besprechen.
Wie kam es denn bei Ihren Schülerinnen und Schülern an, dass Sie sich so engagierten und den Lernprozess aufrechterhielten? Gab es da Feedback?
Ja, sowohl von den Schülerinnen und Schülern als auch von den Eltern. Ich habe auch einen Videocall mit meinem Elternrat abgehalten, der sehr aufschlussreich war. Die meisten Kinder waren wohl sehr zufrieden. Aber es gab auch einige, die unheimlich traurig waren, weil ihre Eltern in systemrelevanten Berufen arbeiten und sich nicht um sie kümmern konnten. Zwei Schülerinnen habe ich deshalb dann mehrmals die Woche angerufen, weil da auch Tränchen liefen und sie mehr betreut werden mussten. Ein deutlich schwierigeres Thema war häusliche Gewalt, die wir an unserer Schule leider auch kennen. Ich wusste von zwei Schülern, die schon vor Corona davon betroffen waren. Aber ich habe auch hier erreicht, dass ich die Kinder einmal die Woche sprechen durfte.

„Der Lockdown hat uns kalt erwischt.“
SUSANN MEYER
Regionalschulrätin
aus Mecklenburg-Vorpommern
Wie hat sich die Situation verändert, nachdem die Schülerinnen und Schüler wieder tageweise an der Schule waren?
Was sich verändert hat, ist einfach, dass die Kinder nicht ganz so fröhlich in die Schule zurückkamen, wie ich sie kannte. Es war für mich ziemlich schwierig, sie aufzufangen. Sie hatten viel Redebedarf. Ich und auch alle Kolleginnen und Kollegen haben natürlich gleich als Erstes ausführlich mit den Kindern über Corona gesprochen: wie es ihnen ergangen ist, was sie gemacht haben. Das musste man aufarbeiten. Und dann war da auch viel Bedarf an Zuwendung, die wir ihnen so gar nicht geben konnten. Wir konnten nur vorn stehen, die Schülerinnen und Schüler anlächeln und sagen: „Ich verstehe dich.“ Aber das ist für Kinder schwierig.
Hat sich Ihre Lehrer-Schüler-Beziehung durch Corona irgendwie verändert?
Sie ist auf jeden Fall verhaltener geworden. Die Kinder sind vorsichtiger, ich kann es gar nicht so richtig beschreiben. Es ist auf jeden Fall ein Gefühl des Abstands da. Mal sehen, wie sich das im neuen Schuljahr weiterentwickelt.
Sie sind ja nicht nur als Lehrerin, sondern auch gewerkschaftlich engagiert. Was haben Sie denn von anderen Mitgliedern der VBE zur Corona-Bewältigung gehört?
Ich bin Bundessprecherin des Verbandes „Junger VBE“ und wir haben in der Zeit mehrere digitale Konferenzen abgehalten. Das Problem war letztlich überall ähnlich, die Ausbildung der Referendare hat während Corona erheblich gelitten. Das übergreifende Problem ist aber die noch sehr rückständige Digitalisierung im Schulbereich. Da wollen wir als VBE jetzt noch mehr auf den Weg bringen.
Was sagen Sie zu Vorurteilen, dass Lehrerinnen und Lehrer während der Corona-Hochphase doch eigentlich wochenlang Ferien hatten?
Das ist ein heißes Thema. Ich selbst bin da absolut der Ansicht, dass das nicht so war, denn ich habe das so erleben dürfen, dass die Kolleginnen und Kollegen und ich nonstop gearbeitet haben. Es war einfach jede Menge zu tun, ob das Webinare, digitale Klassenzimmer oder auch nur einfache Anrufe waren.
Warum ist es auch noch nach Corona wichtig, dass der Lehrerberuf in der Gesellschaft mehr Anerkennung erhält?
Das Thema Anerkennung beschäftigt mich schon lange. In meinem Referendariat 2013 hatte ich bereits eine Mentorin, die mir etwas gesagt hat, was ich bis heute nicht vergessen habe. Sie äußerte, dass sie lieber erzählt, sie arbeitet bei der Post, als zu sagen, dass sie Lehrerin ist. Ich habe mich immer gefragt, warum sie das tat. Heute weiß ich es manchmal und kann es gut nachvollziehen. Wenn man sagt, man sei Lehrerin oder Lehrer, ist es doch oft mit einem Abwinken getan. Oder man hört so etwas wie, ach komm, die Lehrer, haben vormittags recht und nachmittags frei. Das finde ich absolut falsch. Ich denke, dass die wichtigsten Menschen mit Lehrerinnen und Lehrern Hand in Hand gehen, und das sind die Menschen von morgen. Das sind unsere Kinder, und sie sind so wichtig, weil wir mit Kindern gemeinsam Zukunft gestalten müssen und auch wollen.
Ist Lehrerin weiterhin Ihr Traumberuf?
Auf jeden Fall. Ich bin so, dass ich morgens in den Klassenraum reinkomme und meinen Job einfach liebe. Sicher kann man auch mal einen schlechten Tag haben, aber überwiegend ist es so, dass es auf jeden Fall Spaß macht und ich unheimlich gern mit Kindern und Jugendlichen zusammenarbeite. Das Einzige, was mir manchmal etwas den Beruf verhagelt, sind Diskussionen mit Eltern, die die Durchführung meiner Arbeit betreffen. Aber da muss man eben durch.