Keine Straßen- oder Radwegplanung ohne Landschaftsplanung: Wenn ein solches Vorhaben im Zuständigkeitsbereich des Regierungspräsidiums Stuttgart (RPS) umgesetzt werden soll, sind Judith Kimmich und ihre Kolleginnen und Kollegen immer mit im Spiel. Die Ingenieurin für Umweltschutz sorgt dafür, dass beim Straßen- oder Radwegebau naturschutzrechtliche Belange ausreichend berücksichtigt werden.
Die Temperatur nähert sich schon wieder den 30 Grad an diesem wolkenlosen Augusttag. Judith Kimmich steht mit einem Kollegen auf einer breiten Ackerschneise zwischen den Ortsteilen Gingen-Ost und Kuchen und lässt ihren Blick von der Karte in der Hand zum Horizont schweifen. Dort vorn soll sie entstehen, die neue Grünbrücke über der ebenfalls neu geplanten B 10, die hier die alte Bundesstraße auf ihrem Weg durch das Filstal künftig ersetzen soll. Denn die Ackerschneise ist gleichzeitig ein Wildtierkorridor von internationaler Bedeutung des Generalwildwegeplans Baden-Württemberg, der die Wiedervernetzung von Lebensräumen von Wildtieren gezielt fördern soll. Gestern hat sie sich das Ganze noch im Stuttgarter Büro als visualisierte Animation angeschaut, um sich auf eine öffentliche Veranstaltung zur Grünbrücke vorzubereiten. Der Vor-Ort-Termin zeigt jetzt, dass der Brückenstandort gut gewählt ist, um vielen unterschiedlichsten Tierarten von Amphibien und Reptilien bis zu Luchs und Wildkatze „freie Fahrt“ auf ihren Wanderungen zu ermöglichen.

Judith Kimmich
Landschaftsplanerin
„Wir wollen durch unsere Arbeit bestmöglichen Artenschutz betreiben.“
Begehungen fester Arbeitsbestandteil
„Auch wenn der Großteil unserer Arbeit im Büro stattfindet, gehören solche Begehungen fest zu jedem übernommenen Projekt, um ein Gespür dafür zu entwickeln“, erklärt die 25-Jährige, die Ende vergangenen Jahres im RPS gestartet ist. Nach ihrer Einarbeitung betreut sie aktuell bereits sieben Projekte parallel über alle Phasen hinweg von der Vor- über die Entwurfs- bis zur Genehmigungsplanung unter Umweltgesichtspunkten. In der Vorplanung einer Straße oder eines Radwegs ist ihr wichtigster Fachbeitrag die Umweltverträglichkeitsstudie (siehe Reportage Verkehrsplaner: Mehr Fahrrad wagen). Mit einer auf dieser Basis fundierten Variantenauswahl geht es dann in die Entwurfs- und Genehmigungsplanung, in der der landschaftspflegerische Begleitplan den zentralen Umweltfachbeitrag darstellt.
„Viele – auch aus dem Familien- und Freundeskreis – denken und dachten ja, ich würde irgendwas zeichnen in meinem Job, aber dem ist nicht so“, sagt sie lächelnd. Der Bundesverkehrswegeplan gibt die neuen Straßen vor, die Straßenbauverwaltungen der Länder setzen sie um und die Landschaftsplanung ist das zentrale Element, damit die Vorgaben des Bundes- und des Landesnaturschutzgesetzes eingehalten werden. Dabei sieht das Bundesnaturschutzgesetz vor, dass vermeidbare Eingriffe in Natur und Landschaft zu unterlassen und unvermeidbare auszugleichen sind. Die Landschaftsplanung hat neben dieser Eingriffs- und Ausgleichsbilanzierung auch die Berücksichtigung der Schutzgüter Mensch, Tiere, Pflanzen und biologische Vielfalt, Fläche, Boden, Wasser, Luft, Klima, Landschaft sowie das kulturelle Erbe und sonstige Sachgüter zur Aufgabe. In der Praxis bedeutet das für Kimmich, dass kein Arbeitstag wie der andere aussieht. Landschaftsplanerische Fachgutachten müssen an Planungsbüros vergeben und koordiniert werden, ständige Abstimmungen zu wichtigen Punkten finden mit der technischen Planung oder Fachinstitutionen wie der Naturschutz‑, Boden- und Wasserbehörde statt. Dazu kommen Informationsveranstaltungen für die Öffentlichkeit sowie der interne Austausch mit dem Team zum Umgang mit gesetzlichen Neuerungen und natürlich – wie heute – Ortsbegehungen.
Richtige Stelle zum richtigen Zeitpunkt
Die Landschaftsplanerin läuft inzwischen mit ihrem Kollegen über eine große Streuobstwiese in steilerem Gelände oberhalb von Kuchen. Hier wurde im Rahmen der Vorplanung eine Variantenuntersuchung für den Verlauf der neuen B 10 durchgeführt. Beauftragte Biologinnen und Biologen haben allein 13 Fledermausarten im gesamten Untersuchungsraum gefunden und Kimmich macht sich noch einmal selbst ein Bild von der Lage: „Wenn die Straße kommt, ist das ein Eingriff, aber wir versuchen durch unsere Arbeit bestmöglichen Artenschutz zu betreiben.“ Die durchgeführten Kartierungen sind eine wichtige Grundlage für die weitere Planung. Das Interesse an Natur und Umweltschutz ist bei ihr erst richtig im Rahmen ihrer Bachelorarbeit an der Universität Ulm entstanden, wo sie ursprünglich Biologie und Chemie auf Gymnasiallehramt studiert hatte. „Ich habe mich ab da immer mehr für Ökologie interessiert, einen entsprechenden Masterabschluss gemacht und bin dabei auch mit dem öffentlichen Dienst in Berührung gekommen“, erzählt sie. Dann war es auch ohne klassisches Landschaftsplanungsstudium nur noch ein kleiner Schritt ins RPS, das zu diesem Zeitpunkt genau die richtige Stelle anbot.
Sonderfall Flussverlegung
Kimmich schätzt die berufliche Sicherheit und die vielen Entwicklungsmöglichkeiten, die ihr das Regierungspräsidium bietet. Jetzt macht es ihr aber erst einmal viel Spaß, beim Naturschutz aktiv mitzugestalten. Und das auch, wenn es kniffeliger wird, wie beim dritten Punkt ihrer Stippvisite vor Ort. Hier geht es in Geislingen an der Fils um einen sogenannten Zwangspunkt, da die neu geplante Straße an eine bereits bestehende Straße angeschlossen werden muss. Solche Zwangspunkte kommen in der Landschaftsplanung immer wieder mal vor und müssen entsprechend berücksichtigt werden. In Geislingen steht jetzt allerdings eine Flussverlegung im Raum, auch für Kimmich keine alltägliche Sache. Dabei müssen die Varianten besonders gut abgewogen werden, da entsprechend der Wasserrahmenrichtlinie bei einem Eingriff die Gewässersituation grundsätzlich verbessert werden muss. Daher darf beispielsweise der Flussverlauf der Fils nicht verkürzt werden. Was in dem engen Tal gar nicht so einfach ist und kreative Lösungen erfordert. Dazu kommen weitere Herausforderungen wie Stromleitungen oder die künftige Entwässerung der Bundesstraße. Bei der Trassenbegehung ergibt sich noch Diskussionsbedarf. „Wir werden aber auch hier eine gute Lösung für die Natur und unsere Mobilitätsanforderungen finden“, ist sich Kimmich sicher.
Fotos: ARTIS-Uli Deck