Auch die Natur braucht nicht erst heute juristische Unterstützung, um ihren Platz in unserer Welt behaupten zu können. Im Regierungspräsidium Stuttgart ist das eine Aufgabe für Alexandra Kohler im Referat 55 Naturschutz – Recht. Ihr Auftrag im Regierungsbezirk: die Ausweisung von Naturschutzgebieten. Dafür wälzt die Diplomverwaltungswirtin weit mehr als Akten.
Es geht um Grün, aber die vorherrschenden Farben am Hauptsitz des Stuttgarter Regierungspräsidiums in Stuttgart-Vaihingen sind Grau und Weiß in dem modernen Verwaltungsbau des kürzlich verstorbenen Architekten Helmut Jahn, der aus den 90er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts stammt. Alexandra Kohler hat sich deshalb in ihrem kleinen Büro, in dem jährlich viele Entscheidungen für die Natur fallen, entsprechende grüne Aussichten mithilfe bunter Tier- und Pflanzenbilder geschaffen.
Gerade ist sie aus einer Besprechung zu einem geplanten Naturschutzgebiet zurück. Es ging darum, ein Bauvorhaben mit den schützenswerten Flächen in Einklang zu bringen. Dazu waren eine Vertreterin der Gemeinde und des Vorhabenträgers zu Verhandlungen erschienen. Bebauungsgrenzen wurden mit Unterstützung einer interaktiven Karte am Flachbildschirm ausgelotet. „Das ist ein gutes Beispiel für die größte Herausforderung bei meiner Arbeit, nämlich die unterschiedlichsten Interessen vor Ort – wie der Gemeinde, der Wirtschaft oder der Bürgerinnen und Bürger – so gut wie möglich zu berücksichtigen und auszugleichen“, erklärt sie. Im Falle des geplanten Schutzgebiets wird dieser Prozess noch eine ganze Weile weiter gehen, denn das erforderliche und bis zu zwei Jahren dauernde formelle Verfahren ist noch gar nicht gestartet. Dennoch war der Termin nicht zu früh. Gerade bei der Ausweisung von Schutzgebieten ist es wichtig, sämtliche Beteiligte und die Öffentlichkeit mitzunehmen und daher frühzeitig zu informieren. Jedes neu geplante Schutzgebiet soll möglichst mit den Menschen vor Ort gemeinsam entwickelt werden.

Alexandra Kohler
Referentin Ausweisung Schutzgebiete
„Mir ist es wichtig zu vermitteln, dass die Natur, die wir erhalten, am Ende auch uns selbst erhält.“
259 Schutzgebiete im Regierungsbezirk
Mittlerweile gibt es im Regierungsbezirk Stuttgart schon 259 Naturschutzgebiete, um einmalige Landschaften und vor allem gefährdete Lebensräume von Pflanzen und Tieren mit hoher Vielfalt rechtlich zu sichern, damit sie für diese und weitere Generationen erhalten bleiben. Die Unterschutzstellung solcher Flächen ist insbesondere deshalb wichtig, weil die zunehmende Nutzung der Landschaft diese Biotope zunehmend einschränkt. Schutzgebiete sind daher maßgebliche Instrumente zum Erhalt der biologischen Vielfalt und damit eines der wichtigsten Instrumente des Naturschutzes. Deshalb lohnt sich in ihrem Fall auch ein langer Atem, denn es gilt, viele gesetzliche Vorgaben bei einer Unterschutzstellung eines Gebiets einzuhalten.
Bei der zeitintensiven Verfahrensarbeit kommt Alexandra Kohler ihre mehr als 20-jährige Erfahrung in diesem Sachgebiet zugute. Wenn das benachbarte Fachreferat 56 Naturschutz und Landschaftspflege einen Vorschlag zur Unterschutzstellung einer Fläche gemacht hat, erstellt sie mit Unterstützung ihrer Kolleginnen und Kollegen im Rechtsreferat sowie des Fachreferats erst einmal einen Verordnungsentwurf inklusive detaillierter Begründung. Im anschließenden Beteiligungsverfahren werden von allen Seiten vorgebrachte Stellungnahmen, Bedenken und Anregungen geprüft. Danach kommt es zu einer verhältnismäßigen Entscheidung, ob und nach welchen Regeln die Fläche geschützt wird.
Klingt für Außenstehende erst einmal ziemlich bürokratisch, führt jedoch zu eindrucksvollen Ergebnissen. „Abgesehen davon, dass ich das Arbeiten mit rechtlichen Fragestellungen nicht trocken, sondern spannend finde, ist das angestrebte Ziel mehr als überzeugend. Denn zum Beispiel mit dem geplanten Naturschutzgebiet ‚Neckaraue bei Neckarsulm‘ soll dann der gesamte Altneckar mit seiner Aue unter Schutz gestellt sein“, betont Kohler.
Ortsbegehungen als Realitätscheck
Von der Bedeutung solcher Schutzflächen zum Beispiel für bedrohte Vogelarten wie den Eisvogel oder den Schwarzmilan macht sich die 51-jährige Verwaltungsexpertin bei Ortsbegehungen auch immer wieder selbst ein Bild. Auch seltene Pflanzen können von einem besonderen Schutzstatus profitieren. So ist mit dem Naturschutzgebiet „Hörnle“ bei Roigheim im Landkreis Heilbronn ein weithin einzigartiges Refugium für wilde Orchideen entstanden. Das rund 20 Hektar große Gebiet, das früher zur Wein- und Ackerbaunutzung diente, bietet im tief eingeschnittenen Klingenbachtal den idealen Nährboden für mehrere geschützte Arten wie die lilafarbene Pyramidenorchidee. Im Mai zu Beginn der Orchideenblüte hat Kohler selbst schon häufig die Blütenvielfalt erlebt. Solche Vor-Ort-Termine in intakter Natur bestätigen sie darin, mit ihrer Arbeit einen Beitrag zu etwas Besonderem zu leisten, das auch nachfolgenden Generationen für immer erhalten bleibt. Diese spezielle Note ihrer Tätigkeit gibt sie auch gerne als Dozentin bei Einführungslehrgängen für neue Kolleginnen und Kollegen in der Landesverwaltung weiter.
Mittlerweile war Alexandra Kohler an der Ausweisung von zwölf Naturschutzgebieten beteiligt. Die Liebe zur Natur kommt bei ihr nicht von ungefähr. Sie ist schon immer gerne draußen, hat ein eigenes Gartengrundstück und geht mit ihrem Mann oft wandern – insbesondere auch in den sieben Stuttgarter Naturschutzgebieten. Und die Begeisterung für den öffentlichen Dienst löste ein Ferienjob aus. Jetzt schützt sie die Natur und hat eine berufliche Erfüllung gefunden. Schon ihr Weg morgens zur Arbeit führt sie durch ein Schutzgebiet. „Naturschutz ist für mich eine Herzensangelegenheit. Besonders, da ich mich hier um die Perlen der Natur, wie ich sie gerne nenne, kümmern darf“, sagt sie zufrieden. Davon unabhängig, sollten wir uns alle öfters die Rolle der Natur vor Augen halten: „Mir ist es wichtig – und das ist auch eine Aufgabe der Naturschutzverwaltung – dieses Grundverständnis zu vermitteln, dass die Natur, die wir erhalten, am Ende auch uns selbst erhält.“
Erste Naturschutzgebiete ausgewiesen
1919 wurde der Naturschutz in der Weimarer Verfassung erstmals als politisches Ziel aufgenommen. Ein Jahr später führten die preußischen Gesetzgeber im Preußischen Feld- und Forstpolizeigesetz die Kategorie Naturschutzgebiet ein. Andere deutsche Teilstaaten folgten. Die erste Möglichkeit, gesamtstaatlich Naturschutzgebiete auszuweisen, gab es 1935 mit dem Reichsnaturschutzgesetz.
Start im BBBank-Gründungsjahr
Passend zum Gründungsjahr der BBBank wurde 1921 am 9. August mit dem Neandertal bei Düsseldorf gleich das erste deutsche Naturschutzgebiet ausgewiesen. Am 29. Dezember 1921 folgte das Naturschutzgebiet Lüneburger Heide rund um den Wilseder Berg, das bis heute zu den größten Gebieten Deutschlands zählt. Da die nun geschützten Flächen dem Preußischen Feld- und Forstpolizeigesetz unterstanden, war ganz praktisch weiterhin der jeweilige Förster für sie zuständig. Es entstanden also keine neuen Berufsbilder wie heute beispielsweise die Schutzgebiet-Ranger. Allerdings waren zumindest die höheren Ränge der Förster meist schon verbeamtet. Ältestes Naturschutzgebiet Baden-Württembergs ist übrigens eine heute 4.226 Hektar große Fläche rund um den Feldberg, die 1937 unter Schutz gestellt wurde. Insgesamt sind laut Stand 2017 in Deutschland 8.710 Naturschutzgebiete mit einer Fläche von knapp 1,4 Millionen Hektar ausgewiesen. Dies entspricht 4,1 Prozent der Gesamtfläche Deutschlands und wird von Fachleuten als zu niedrig angesehen, um die Artenvielfalt erhalten zu können.